Eine Anekdote aus den frühen 50er Jahren

Paul Mattick besuchte einst Heinz Langerhans und blieb über Nacht (oder war es umgekehrt?). Sie tranken viel und am Morgen verquatschten sie sich auch noch: Dadurch geriet Langerhans in Bredouille, musste er doch später am Vormittag eine Soziologie-Vorlesung abhalten. Mattick bot ihm an, ihn zumindest mit dem Auto zu bringen. Während der Fahrt fragte ihn Langerhans, ob er einen Soziologen namens Veblen kenne. Mattick war bekannt als Bücherwurm – natürlich kannte er Thorstein Veblen. Langerhans bat darum, er möge ihm seine Lektüre-Eindrücke schildern. Nach seinem kurzen Referat fragte Mattick, wozu er denn die Informationen brauche? Naja, die Soziologie-Vorlesung, die er gleich zu halten habe, habe Parsons zum Gegenstand. Selbst Mattick war über soviel Chuzpe erstaunt — und neugierig, wie sich Langerhans geschlagen haben würde. Sie verabredeten sich für den Nachmittag. Wie war die Vorlesung? — »Hervorragend. Ich habe gefragt, wer schon mal von Veblen gehört hat. Ein Student meldete sich, das sei der Tankstellenbetreiber am Ortsausgang. Da wusste ich, jetzt kann nichts mehr schief gehen.«

Bertolt Brecht, Arbeitsjournal

 16.2.1943

 

(…)

 

Langerhans ist sympathisch wie je, erzählt vom KZ, wo einmal eine ganze Theatersaison einriß. »AMn ging am Abend in die zweite Baracke, sich den ›Hauptmann von Köpenick‹ ansehen, oder in eine andere, die Soundsorevue.« Im Zuchthaus Brandenburg hörte er einen Häftling meine Gedichte über den Anstreicher vortragen. Mein Moritaten- und Sketchstil diente überall als Vorbild. Kulturnation. — »Das Moorsoldatenlied« war, wie er sagt, in allen Lagern verbreitet und erlaubt. Er liebte es dort nicht, es war ihm zu sehr Sklavenlied. Bei der Negation im letzten Refrain »nicht mehr mit dem Spaten ins Moor«, auf das Nein warteten immer alle geil und stampften beim Nein auf, daß die Baracke wackelte.