Am 4. Mai 2017 fand im Rahmen der »Pluriversale VI – Die alte Linke und die neue Rechte«, dem Festival der Akademie der Künste der Welt, in der Boulehalle Köln eine Essay-Lesung zu Leben und Werk Heinz Langerhans‘ statt. Beteiligt waren als Sprecherinnen Anja Jazeschann und Melanie Weidemüller. Erinnerungen und Einordnungen steuerten Michael Buckmiller und Joke Frerichs bei. Felix Klopotek machte das Denken Heinz Langerhans‘ für heutige Debatten fruchtbar.
Das Werk des Politologen Heinz Langerhans (1904–1976) gilt es zu entdecken, sein Lebensweg harrt der Entschlüsselung. Der Schüler von Karl Korsch, Freund von Bert Brecht und Mitarbeiter von Max
Horkheimer hat 1942 im us-amerikanischen Exil eine völlig eigenständige Theorie des totalitären Zeitalters erarbeitet. Ihr lebensgeschichtlicher Hintergrund sind Langerhans‘ Zeit im Widerstand
gegen die NS-Diktatur, seine langen Jahren in Knast und KZ, die abenteuerliche Flucht aus Europa. Es ist die literarisch zugespitzte Anstrengung, Faschismus und Stalinismus in marxistischen
Kategorien zu denken — dermaßen radikal und unerschrocken, dass sich diese Kategorien aufzulösen beginnen. Langerhans‘ Nachlass galt als verschollen, erst vor kurzer Zeit sind seine nie
publizierten Manuskripte aufgetaucht. Sie werden in Köln das erste Mal der Öffentlichkeit vorgestellt.
POET: „Die totalitäre Erfahrung“ erinnerte in Köln an den Politikwissenschaftler Heinz Langerhans
Die Projektion einer Steinbuddhafigur erhellt die Boulehalle in Köln-Mülheim, von der hohen Decke hängen getrocknete Blumen, und aus den Lautsprechern ertönt esoterisch angehauchte Musik. Ein Wechsel, statt des Buddhas sieht man jetzt ein Zitat: „Viel zerbrach in den Fingern uns. Haben wir nicht alles ausgespuckt Dutzend Mal? Aber uns ward die Ruhe zuteil. Denn wir sind die Beweglichen.“ Und auf die Musik folgt eine Sprachaufnahme: „Er war ein kleiner untersetzter Mann, mit einem großen Kopf, sehr dünnen Haaren, sah sehr unjüdisch aus, richtig deutsch, sah intellektuell aus, nicht in einem Studienrat-Sinne, sondern in dem Sinne einer poetischen Intelligenz. Das was er im Grunde war, nämlich ein Poet.“
So beginnt „Die totalitäre Erfahrung“, zu der die Akademie der Künste der Welt gemeinsam mit Felix Klopotek am Donnerstag geladen hat, um „die drama- tische Geschichte des in Vergessenheit geratenen kommunistischen Politikwissenschaftlers und Autors Heinz Langerhans“ zu erzählen. Es wird kein Wert darauf gelegt, Mitwirkende vorzustellen und einen Überblick über den Abend zu geben, was erst einmal sehr erfrischend ist. Ohne große Umschweife werden verschiedene Ausdrucksmedien wie Leinwand oder Tonaufnahmen eingesetzt, bei denen man ebenfalls darauf verzichtet zu erklären, wer dort spricht und wessen Zitate da aufgeblendet werden. Klopotek gibt zu verstehen, „ihn referieren, heißt auch, ihn zu verlieren“, also eine konzeptuelle Taktik.
Langerhans’ nie veröffentlichte Manuskripte zum Totalitarismus galten als verschollen und sind erst vor Kurzem wieder aufgetaucht. Die Schauspielerin und Sprecherin Anja Jazeschann sowie die Journalistin Melanie Weidemüller werden an diesem Abend die Rolle des Langerhans übernehmen, was nicht sofort klar wird. Hierzu mischt sich Politologe Michael Buckmiller, bei dem völlig unklar bleibt, aus welchen Primär- und Sekundärtexten er liest.
Dieses Kaleidoskop über die Person Langerhans, die Komplexität der Gedanken, dessen Urheber nicht ersichtlich werden, der schnelle Wechsel der Vortragenden, die vielen aneinander gereihten „-ismus“ und „-istischen“ gleichen einem Theoriegemetzel. Die erste Stunde der „szenischen Lesung“ ist in ihrer Form schon eine Erfahrung. Keine totalitäre,aber eine intensive. Als eine Pause angekündigt wird, verliert der Abend knapp ein Drittel der Gäste.
Langerhans, der Abstand davon genommen hatte, ein Theorie-System zu formulieren, schrieb Gedichte. Eine Stimme aus den Archivaufnahmen attestiert ihm „ein Verständnis der Realität, welches dem Verständnis der Marxisten weit voraus war“. – „Er hatte etwas von Nietzsche und Hölderlin, er war einer aus dieser Gesellschaft von Philosophen.“ An dieser Stelle erfährt das Publikum den Namen des Sprechers: Leo Friedmann, ein linkssozialistischer jüdischer Journalist, eben- falls in Vergessenheit geraten.
Kein kalter Krieger
Doch erzählt wird nicht die Geschichte eines Poeten oder Philosophen, sondern die von Langerhans als Schüler von Karl Korsch, einem Erneuerer der marxistischen Philosophie und Theorie. Man erfährt von dem von Langerhans geprägten Begriff „Staatssubjekt Kapital“, einer Verschmelzung aus Staatsmacht, Kapitalmacht und der ursprünglich entgegengesetzten Arbeiterbewegung zu einer neuen Klassengesellschaft. Und schließlich von seiner Totalitarismustheorie, die sich auf das Marx’sche Kapital gründet.
Eher fragwürdig ist seine Verbundenheit zur ehemaligen Kommunistin Ruth Fischer, die Denunziationsarbeit gegen Kommunisten betrieb. Die Antikommunistin Fischer verbündete sich sogar mit Rechtsradikalen und klagte ihren eigenen Bruder als „State Enemy No. 1“ an. Für Klopotek ist Langerhans allerdings „kein kalter Krieger, der wie so viele von ganz links nach ganz rechts geschlingert ist, aber er stellt sich die Aufgabe, den Schrecken des Totalitarismus ganz zu durchmessen, um in ihm die Elemente des Umschlags zu antizipieren: Das ist die totalitäre Erfahrung, die Verarbeitung von etwas, das Verarbeitung (Reflexion, Einordnung, intellektuelle Distanz) auslöschen will.“
DU PHAM, taz vom 8.5.2017
Im Rahmen der Pluriversale VI, academycologne.org